Alte Erinnerungstechniken

Objekt: Mnemokette der Vili
Mnemokette der Vili mit 80 kleinen Holzplastiken als Gedächtnisstütze für Redner, Republik Kongo, zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, Fotografie: Punctum, Bertram Kober
Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig, Staatliche Ethnographische Sammlungen Sachsen, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Alte Erinnerungstechniken

Speichern vor der Schrift

Der Erfindungsreichtum der Menschen in traditionalen Kulturen, Informationen ohne Schrift, aber mit visuellen Mitteln für den Wiedergebrauch zu fixieren, ist beeindruckend.

Harald Haarmann, Geschichte der Schrift, 2004

Kerbholz, Knotenschnur, Botenstäbchen, Figurenkette und vieles mehr diente dem Menschen bereits in der Vor- und Frühphase der Schriftentwicklung als Hilfsmittel zur Kommunikation. Diese (oft auch als „Gegenstandsschriften“ bezeichneten) Artefakte dienten als Gedächtnisstütze. Die Anzahl von Kerben in einem Hölzchen, die Art und Anzahl von Knoten in einer Schnur oder die Anordnung von Figuren, Muscheln oder Perlen an einer Kette nutzte man als Stellvertreter für reale Ereignisse und Personen, die in Erinnerung bleiben sollten.

Die Visualisierung erleichterte das Einprägen der Inhalte und deren Abruf nach längerer Zeit. Mit ihrer speziellen Markierung oder Ausformung wurden die Merkhilfen unter anderem als Spickzettel für Einladung und Rezitation, als Inventar-, Schuldner- und Ahnenliste oder für die Übermittlung von Liebesbotschaften genutzt. Oft waren sie in formelle oder feierliche Rituale eingebunden und hielten die kollektive Erinnerung wach. Schriftlose Völker nutzen diese Tradition, die in sprachlichen Wendungen wie „etwas auf dem Kerbholz haben“ oder „einen Knoten im Taschentuch machen“ ihren Ausdruck gefunden hat, bis heute.